Arzneimittel­therapie­sicherheit: Hätten Sie es gewusst?

Hätten Sie es gewusst?
Gewusst?

Frau Becker ist 66 Jahre alt und wird seit einem Jahr wegen rheumatoider Arthritis einmal wöchentlich mit Methotrexat (MTX) 15 mg behandelt. In letzter Zeit leidet Frau Becker unter wiederkehrenden Rückenschmerzen. Ihre Patientin hat noch ein Schmerzmittel zu Hause, das sie früher regelmäßig bei Kopfschmerzen angewendet hat: Acetylsalicylsäure (ASS). Frau Becker hat mehrmals pro Woche eine 500 mg Tablette 3-mal am Tag eingenommen. Bei einer Routineuntersuchung in Ihrer Praxis erzählt sie von den Rückenbeschwerden und der Selbstmedikation. Es stellt sich die Frage: birgt die Kombination von MTX und ASS ein Risiko?

 

Was könnte passieren?

Methotrexat (MTX) ist ein Hochrisikoarzneimittel mit potenziell schwerwiegenden Folgen durch Anwendungsfehler und Arzneimittelwechselwirkungen. Die Dosierung des Wirkstoffs ist je nach Indikationen sehr unterschiedlich: Im Mittel- und Hochdosisbereich (100 mg / m2 bis über 1.000 mg / m2 pro Einzeldosis) findet MTX Anwendung bei verschiedenen Krebserkrankungen; niedrig dosiert (7,5 mg bis 30 mg pro Woche) wird es bei entzündlichen Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Psoriasis oder Morbus Crohn angewendet.1,2

Bei Frau Becker besteht theoretisch das Risiko, dass durch die gemeinsame Anwendung der Arzneimittel MTX akkumuliert und toxische Spiegel resultieren. Zwei Aspekte sind bei der gemeinsamen Anwendung von MTX und ASS in analgetischer Dosierung zu berücksichtigen:

 

1.      Plasmaeiweißbindung

Nach Resorption liegt etwa die Hälfte von Methotrexat gebunden an Plasmaproteine (vorwiegend Albumin) vor.1 Zur pharmakologischen Wirkung kann jedoch nur der freie Anteil von MTX beitragen. Durch ASS in analgetischer Dosierung wird MTX aus der Plasmaeiweißbindung verdrängt und es kommt zu erhöhten Spiegeln von freiem MTX im Plasma.5

 

2.      renale Ausscheidung

MTX wird vorwiegend über die Nieren durch glomeruläre Filtration und tubuläre Sekretion ausgeschieden.4,5 Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), einschließlich ASS, können zu einer verminderten tubulären Sekretion und renalen Perfusion mit eingeschränkter Nierenfunktion führen, wodurch die MTX-Spiegel ansteigen.5

Für Patienten mit vorliegenden Risikofaktoren wie Hypoalbuminurie, eingeschränkter Nierenfunktion, höherem Patientenalter und Flüssigkeitsansammlungen (z. B. Aszites) können die klinischen Konsequenzen ausgeprägter sein.1,4

Obwohl die gemeinsame Anwendung von ASS und Methotrexat potenziell toxisch ist, bleibt die tatsächliche klinische Relevanz, wenn sowohl niedrigdosiertes MTX als auch ASS in therapeutischer Dosierung eingenommen werden und eine Folsäure-Substitution erfolgt, aufgrund der verfügbaren Datenquellen unklar.  Fallberichte und pharmakokinetische Studien mit kleinen Patientenzahlen zeigten toxische Reaktionen bzw. erhöhte Plasmaspiegel von MTX bei gemeinsamer Anwendung. Auch eine Beobachtungsstudie konnte ein erhöhtes Risiko für Hepatotoxizität für die Kombination mit hochdosierter ASS zeigen. Allerdings sind die Fallberichte verbunden mit sehr hohen ASS-Dosen (3 bis 5,3 g / Tag), was sich z. T. auch außerhalb der aktuell zugelassenen Höchstdosierung von 3 g / Tag befindet. Zudem stammen die Berichte und Untersuchungen aus Zeiten, in denen der Einsatz von Folsäure und die nur einmal wöchentliche Gabe von MTX noch nicht die Norm war. Möglicherweise hätten Toxizitäten bei diesen Patienten durch Folsäure bereits verhindert werden können.13,15
Pharmakokinetische Studien zeigen zwar einheitliche Ergebnisse (erhöhte Serumkonzentration von MTX), daraus resultierende klinische Konsequenzen wurden allerdings nicht berichtet oder diskutiert. Andererseits gibt es Studien, in denen allgemein die Anwendung von NSAR (einschließlich ASS) und niedrigdosiertem MTX unter den gängigen Sicherheitsmaßnahmen nicht mit erhöhten Nebenwirkungsraten einhergingen bzw. kein Unterschied zwischen ASS und anderen NSAR hinsichtlich toxischer Nebenwirkungen festgestellt werden konnte.13,14 Auch die Anweisungen in den Produktinformationen bezüglich dieser Wechselwirkung variieren erheblich. Die Angaben reichen von „die gleichzeitige Behandlung mit Methotrexat in Dosierungen von > 20 mg / Woche und ASS in analgetischer bzw. antipyretischer Dosierung ist kontraindiziert“ bis hin zu „die gemeinsame Anwendung kann unter engmaschiger Überwachung fortgesetzt werden“.16,17 Gestützt auf die oben genannten Fallserien und pharmakologischen Untersuchungen stuft die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie die gemeinsame Anwendung von MTX und Acetylsalicylsäure als eine gefährliche Kombination ein, sofern die ASS-Dosis ≥ 2 g / Tag beträgt. Höhere Dosen ASS sollen vorsichtshalber vermieden werden.5, 7

Für niedrigdosiertes ASS zur Thrombozytenaggregationshemmung ist eine Wechselwirkung bisher nicht berichtet und auch sehr unwahrscheinlich.5 Die Angaben in den Produktinformationen sind in diesem Fall kritisch zu hinterfragen: auch bei niedrigdosierter ASS wird eine Kontraindikation mit MTX ab 15 mg pro Woche ausgewiesen.8 Hierfür gibt es laut der rheumatologischen Fachgesellschaft keine Belege – sie stuft die gemeinsame Einnahme von niedrigdosiertem MTX und ASS (80 bis 100 mg / Tag)  generell als Interaktion ohne Relevanz ein.5

 

Was ist zu tun?

Nach gängiger klinischer Praxis ist die Folsäure-Gabe (5 mg einmal wöchentlich) am Tag nach der MTX-Anwendung als obligatorisch zu betrachten. So wird das Risiko für Nebenwirkungen reduziert und die Therapietreue der Patienten verbessert.2,3,10

Zudem ist eine ausführliche Aufklärung über die potenziellen Wechselwirkungen bei Einnahme von rezeptfrei erhältlichen Schmerzmitteln und MTX sinnvoll. Die Patienten sollen sensibilisiert werden, auf mögliche Toxizitätssymptome (z. B. Exanthem, Stomatitis, gastrointestinale Symptome, Fieber, Luftnot, Husten, Blutungen) zu achten und diese zu berichten.10,11

Ihre Patientin ist bereits zur korrekten Dosierung von MTX geschult, nimmt einmal wöchentlich ihr Folsäure-Präparat, und weitere Risikofaktoren liegen bei ihr nicht vor. Nach Ausschluss anderer Ursachen kann bei bestehenden, nicht-spezifischen Rückenschmerzen neben nichtmedikamentösen Maßnahmen wie z. B. Bewegungstherapie und edukativen Maßnahmen für die akute Phase ein NSAR angeboten werden.6 Grundsätzlich wäre hier auch der Einsatz von ASS (< 2 g / Tag) denkbar; in Anbetracht der Vielzahl an geeigneteren Alternativen aus der NSAR-Gruppe sollte davon Abstand genommen werden.7,9 Zudem wird Acetylsalicylsäure für ältere Patienten gemäß Priscus-Liste als potenziell inadäquat eingestuft. Eine Option für Frau Becker stellt Ibuprofen mit maximal 400 mg pro Tag (bis zu 3-mal täglich) für eine Woche bzw. in Kombination mit einem Protonenpumpeninhibitor für bis zu acht Wochen dar.12 Das Analgetikum sollte in der niedrigsten wirksamen Dosis so kurz wie möglich angewendet werden und wenn möglich auch zu einer anderen Tageszeit als MTX.3 Eine angemessene Überwachung von Blutbild, Leberenzymen und Kreatinin ist besonders während der NSAR-Einnahme wichtig.10 Bei bisher komplikationslosem Verlauf der MTX-Therapie ist mindestens eine quartalsweise Überwachung der Parameter angezeigt.3,18

 

Fazit:

Trotz der Vielzahl an möglichen Wechselwirkungen von niedrigdosiertem Methotrexat, ist differenziert zu betrachten, wann es sich um ein absolutes No-Go handelt und wann eine gemeinsame Therapie z. B. durch geeignete Maßnahmen wie Folsäure-Gabe, angemessenes Monitoring oder Dosisanpassungen sicher möglich ist.

Niedrigdosiertes ASS kann sicher während einer niedrigdosierten MTX-Therapie angewendet werden. Die Einnahme analgetischer und antipyretischer Dosierungen (< 2 g / Tag) des Wirkstoffs ist mit Einschränkungen ebenfalls möglich, im konkreten Fall ist das Nutzen-Risko-Verhältnis jedoch eher ungünstig. Die Verordnung in antiphlogistischer Dosierung (≥ 2 g / Tag) sollte aufgrund der potenziellen Risiken und zahlreicher geeigneterer Alternativen unterbleiben.

 

 

Quellen:

[1] Jafari F, et al. A critical review of methotrexate clinical interactions: role of transporters. Expert Opin Drug Metab Toxicol. 2023 Feb;19(2):91-107

[2] Veröffentlichung (BfArM, PEI); Bulletin zur Arzneimittelsicherheit; Dezember 2019 (Ausgabe 4)

[3] S3-Leitlinie Therapie der Psoriasis vulgaris; Februar 2021; AWMF-Register-Nr.: 013 - 001

[4] Krause K, et al. Wechselwirkungen in der dermatologischen Systemtherapie. Hautarzt. 2021 Jan;72(1):44-49

[5] Fiehn C, et al. Bewertung von Wechselwirkungen und Dosierungsempfehlungen von synthetischen DMARDs – Evidenz- und konsensbasierte Empfehlungen auf Basis einer systematischen Literatursuche. Z Rheumatol. 2023 Mar;82(2):151-162

[6] Nationale Versorgungs Leitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz; AWMF-Register-Nr.: nvl-007; 2017 (2. Auflage, Version 1)

[7] Colebatch AN, et al. Safety of nonsteroidal antiinflammatory drugs and/or paracetamol in people receiving methotrexate for inflammatory arthritis: a Cochrane systematic review. J Rheumatol Suppl. 2012 Sep;90:62-73

[8] Fachinformation Aspirin® protect 100 mg; Bayer; Oktober 2023

[9] Whittle SL, et al. Multinational evidence-based recommendations for pain management by pharmacotherapy in inflammatory arthritis: integrating systematic literature research and expert opinion of a broad panel of rheumatologists in the 3e Initiative. Rheumatology (Oxford). 2012 Aug;51(8):1416-25

[10] Sierocinski E, et al. Patientensicherheit in der Rheumatherapie: Labormonitoring bei Methotrexat. Z Rheumatol. 2021 Jun;80(5):418-424

[11] Veröffentlichung Deutscher Hausärzteverband; Vertrag zur Hausarztzentrierten Versorgung in Baden-Württemberg; Anhang 5.11 zu Anlage 17; 01.01.2019

[12] Mann N-K et al. Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: PRISCUS 2.0. Deutsches Ärzteblatt. 2023; 120:3–10

[13] Bourré-Tessier J, Haraoui B. Methotrexate drug interactions in the treatment of rheumatoid arthritis: a systematic review. J Rheumatol. 2010 Jul;37(7):1416-21

[14] Honma T, et al. Drug-drug interaction assessment based on a large-scale spontaneous reporting system for hepato- and renal-toxicity, and thrombocytopenia with concomitant low-dose methotrexate and analgesics use. BMC Pharmacol Toxicol. 2024 Feb 1;25(1):13

[15] Frenia ML, Long KS. Methotrexate and nonsteroidal antiinflammatory drug interactions. Ann Pharmacother. 1992 Feb;26(2):234-7

[16] Fachinformation Aspirin 500 mg; Bayer; Oktober 2023

[17] Fachinformation Nordimet ILO; Nordic Pharma; März 2023

[18] Sierocinski E, et al. Patientensicherheit in der Rheumatherapie : Labormonitoring bei Methotrexat. Z Rheumatol. 2021 Jun;80(5):418-424

 

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