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Digitale Arzneimitteldatenbanken und Software-Lösungen für die Integration in Praxisverwaltungssysteme, Patienten-Apps oder andere medizinische Informationssysteme.
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Herr Keller, ein 72-jähriger Patient, stellt sich mit Schmerzen, Fieber, Leistungsabfall und Dyspnoe in Ihrer Praxis vor. Er erhält seit längerem die folgende Medikation:
Metoprololsuccinat 95 mg (1-0-0)
Ramipril 5 mg (1-0-0)
Torasemid 5 mg (1-0-0)
Clopidogrel 75 mg (1-0-0)
Simvastatin 40 mg / Ezetimib 10 mg (0-0-1)
Bei Bedarf: Paracetamol 500 mg
Nach eingehender Untersuchung und Anamnese stellen Sie die Diagnose einer ambulant erworbenen Pneumonie. Da keine schwere Pneumonie oder Komplikationen vorliegen, die eine stationäre Aufnahme des Patienten erfordern, entscheiden Sie sich für eine antibiotische Therapie. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ehefrau von Herrn Keller bei gleicher Diagnose auf das Mittel der Wahl, Amoxicillin, nicht ansprach, jedoch nach Umstellung auf Clarithromycin Besserung zeigte, verordnen Sie Herrn Keller ebenfalls Clarithromycin 500 mg (1-0-1) für 7 Tage. Dabei fällt Ihnen eine neue rote Warnung im Wechselwirkungs-Check der Praxis-Software auf.
Was könnte hier passieren?
Besonders bei Patienten mit Multimedikation (≥ 5 dauerhaft verabreichten Medikamente) ist es schwierig, den Überblick über mögliche Wechselwirkungen zu behalten. Ohne Software-Unterstützung wird diese Aufgabe noch komplexer, denn mit jedem neu verordneten Medikament steigt auch das Risiko für Arzneimittelinteraktionen.1
Und tatsächlich verursacht das neu verordnete Arzneimittel ein relevantes Problem mit der Dauermedikation von Herrn Keller. Angezeigt wird eine Wechselwirkung zwischen Simvastatin und Clarithromycin. Diese Arzneimittel-Interaktion gehört sicherlich zu den weithin bekannten „Klassikern“. Dennoch kommt es in der Praxis immer wieder zu dieser Konstellation, trotz absoluter Kontraindikation.4,8
Bereits in Monotherapie besitzen Statine ein dosisabhängiges Potenzial für muskuläre Nebenwirkungen. Meist handelt es sich um leichte Myalgien oder Erhöhungen der Kreatinkinase. Aber auch schwerwiegende Formen der Myopathie bis hin zu Rhabdomyolyse sind möglich, wobei deren Inzidenz, in Anbetracht der hohen Verordnungszahlen der Cholesterinsenker, jedoch insgesamt gering bleibt. Das Risiko für myotoxische Effekte kann sich allerdings durch pharmakokinetische Wechselwirkungen und einer daraus resultierenden indirekten Dosissteigerung des Statins erhöhen.5
Innerhalb der Statin-Gruppe gibt es erhebliche Unterschiede in den Abbau- und Transportwegen, was wiederum das Interaktionspotenzial beeinflusst. Simvastatin, Lovastatin und in geringerem Ausmaß Atorvastatin werden vorwiegend durch das CYP-Enzym 3A4 metabolisiert und über den organischen Anionen Transporter OATP1B1 in die Hepatozyten aufgenommen. Bei gemeinsamer Anwendung mit Clarithromycin, einem potenten Hemmer von CYP3A4 und OATP1B1, wird der Abbau und Abtransport gehemmt und im Fall von Simvastatin können bis zu 10-fach erhöhte Plasmaspiegel resultieren.3,6,7 Aufgrund anderer Stoffwechselwege sind Rosuvastatin, Fluvastatin und Pravastatin von dieser Wechselwirkung nicht signifikant betroffen.6
Mehrere Fallberichte und retrospektive Kohortenstudien zeigen die z. T. schwerwiegenden klinischen Folgen einer Statin-Plasmaspiegelerhöhungen durch Clarithromycin.4,6,8 In einer Analyse aus Österreich war die gleichzeitige Anwendung von Clarithromycin mit einem CYP3A4-metabolisierten Statin (Atorvastatin, Lovastatin oder Simvastatin) mit einem 2,11-fach erhöhten Risiko für Tod oder Krankenhauseinweisung verbunden, verglichen mit Patienten, die Clarithromycin ohne ein CYP3A4-metabolisiertes Statin erhielten.4 Ähnliche Ergebnisse zeigt eine Veröffentlichung zu älteren kanadischen Patienten. Die gleichzeitige Einnahme von Clarithromycin oder Erythromycin (ebenfalls ein CYP3A4-Inhibitor) zusammen mit Simvastatin, Lovastatin oder Atorvastatin war mit einem erhöhten Risiko für Krankenhausaufenthalte wegen Rhabdomyolyse (RR = 2,2), akutem Nierenversagen (RR = 1,8) oder der Gesamtmortalität (RR = 1,6) im Vergleich zur gleichzeitigen Einnahme von Azithromycin mit den Statinen verbunden.8 Die absolute Risikoerhöhung durch eine gemeinsame Anwendung blieb in beiden Untersuchungen zwar gering (< 1 %), aufgrund der potenziell gravierenden Folgen ist diese Wechselwirkung dennoch für die Praxis relevant.3
Was ist zu tun?
Zunächst sollten alle Patienten, die Statine einnehmen, über das Risiko einer Myopathie aufgeklärt und dazu angehalten werden, unklare Muskelschmerzen, -empfindlichkeit oder -schwäche zu melden.2,5
Für das konkrete Management der Wechselwirkung stehen zwei Optionen zur Verfügung:3,7,10
Da Herr Keller bereits Compliance-Probleme mit seiner bestehenden Medikation hat, schließen Sie die Option einer Statin-Pause aus, um den Patienten nicht zusätzlich zu verunsichern. Sie entscheiden sich, Azithromycin FTA 500 mg (1-0-0) für 3 Tage zu verordnen. Diese Wahl umgeht die Wechselwirkung und ermöglicht aufgrund der langen Halbwertszeit eine kurze und effektive Behandlungsdauer. Darüber hinaus zeichnet sich Azithromycin unter den Makroliden durch die geringste kardiovaskuläre Toxizität aus, was zusätzlich für seine Anwendung spricht.11,12
Ist hingegen eine längerfristige Einnahme mit einem potenten CYP3A4-Inhibitor erforderlich, sollten wechselwirkungsärmere Statine wie Rosuvastatin, Fluvastatin oder Pravastatin in Betracht gezogen werden.1,10
Fazit:
Insbesondere bei Patienten mit Polymedikation ist es eine Herausforderung, mögliche Interaktionen im Blick zu behalten. Selbst bekannte Wechselwirkungen, wie zwischen Simvastatin und Clarithromycin, können z. B. durch Verordnung verschiedener Ärzte oder wegen veralteter Medikationspläne unentdeckt bleiben und potenziell schwerwiegende Folgen haben. Um dies zu vermeiden, sollte der Medikationsplan aktuell gehalten werden und bei jedem neu angesetzten Medikament eine Prüfung auf Wechselwirkungen erfolgen.
Quellen:
[1] S3-Leitlinie Hausärztliche Leitlinie Multimedikation; AWMF-Registernummer: 053 – 043; Version 2.00; 05. Mai 2021
[2] Fachinformation Simvazet; Aristo Pharma; März 2023
[3] Hougaard Christensen MM, et al. Interaction potential between clarithromycin and individual statins-A systematic review. Basic Clin Pharmacol Toxicol. 2020 Apr;126(4):307-317
[4] Mesgarpour B, et al. A population-based analysis of the risk of drug interaction between clarithromycin and statins for hospitalisation or death. Lipids Health Dis. 2015 Oct 24;14:131
[5] S1-Leitlinie Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien; AWMF-Registriernummer: 030/051; 01. Februar 2020
[6] Abu Mellal A, et al. The clinical significance of statins-macrolides interaction: comprehensive review of in vivo studies, case reports, and population studies. Ther Clin Risk Manag. 2019 Jul 23;15:921-936
[7] Spanakis M, et al. Antibiotics and Lipid-Modifying Agents: Potential Drug-Drug Interactions and Their Clinical Implications. Pharmacy (Basel). 2023 Aug 19;11(4):130
[8] Patel AM, et al. Statin toxicity from macrolide antibiotic coprescription: a population-based cohort study. Ann Intern Med. 2013 Jun 18;158(12):869-76
[9] Stroes ES, et al. European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Statin-associated muscle symptoms: impact on statin therapy-European Atherosclerosis Society Consensus Panel Statement on Assessment, Aetiology and Management. Eur Heart J. 2015 May 1;36(17):1012-22
[10] Farker K. Arzneiverordnung in der Praxis; Band 42; Heft 4; Oktober 2015
[11] S3-Leitlinie Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie; AWMF-Register-Nr. 020-020; April 2021
[12] Guo D, et al. The cardiotoxicity of macrolides: a systematic review. Pharmazie. 2010 Sep;65(9):631-40